Das ganz neue Vir-Gefühl

Vir-Gefühl-Erkenntnis 1: Relationen werden gesund

Corona hält die Welt in Atem. Und reduziert sie auf das Wesentliche. Im Fokus steht die Kern-Familie, in der wir alle inzwischen ganz gut angekommen sein dürften. Das Homeschooling hat an Fahrt aufgenommen, sich aber inzwischen wieder beruhigt. Denn das neue Vir-Gefühl hat alle Relationen einmal gründlich hinterfragt. Ist es wirklich sooo relevant, dass mein Kind jede einzelne Aufgabe erledigt, dass man sich nicht vor dem innerschulischen Vergleich „scheuen muss“? Ich gebe zu, ich habe mich sehr aufgeregt, eine ganze Weile sogar. Ich war sauer, weil mein Schulkind sich gesträubt hat: gegen die neue Situation, gegen die Ferien, die ja nun doch keine sind und gegen meine Ansagen.

Aber jetzt ist etwas geschehen. Es wurde meine Frage nach dem Sinn des ganzen Corona-Irrsinns irgendwie beantwortet. Ist vielleicht der Sinn, einmal anzuhalten, zu Atem zu kommen und zu erkennen, wie falsch, nein, irrelevant die Wertschätzung von Tätigkeiten eigentlich war? Bei aller Angst davor, sich mit Corona zu infizieren, bleibt diese Erkenntnis. Was passiert denn, wenn mein Schulkind weniger Aufgaben als die Mitschüler erledigt? Richtig: vermutlich nichts. Denn wir Eltern sollten den Lehrkräften so weit vertrauen, dass sie professionell genug arbeiten – um zu wissen, was zu erwarten ist und wie sie die Klasse wieder auf einen einheitlichen Stand bekommen. Denn das ist  nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist es, Ruhe wiederzufinden und sie so gut wie möglich auszustrahlen. Die Kinder haben sich die Situation ebenso wenig ausgesucht wie wir. Und sie finden sie ganz bestimmt genauso blöd.

Vir-Gefühl-Erkenntnis 2: Die MS bekam einen zu großen Stellenwert

Im Hinblick auf meine Multiple Sklerose war es vom ersten Tag an ein stetiges Auf und Ab. Zwischen Ängsten und Hoffnungen und dem Klammern an den Mildi-Status ohne Schübe vergisst man gelegentlich, dass es auch noch andere Dinge im Leben gibt. Andere Sorgen, die oft realer sind. Das Vir-Gefühl des Corona-Social-Distancing, die Meldungen über Tote und über sprunghaft ansteigende Fallzahlen machen nachdenklich. Ist es unangemessen, sich so sehr mit einer chronischen Erkrankung zu beschäftigen, die sich aktuell gar nicht zeigt?

Doch das Vir-Gefühl bewies mir – leider – das Gegenteil. Die Verwundbarkeit, die Angreifbarkeit zeigte sich in dieser Ausnahmesituation voller Existenzängste prompt. Ganz sicher lag es am Stress, aber plötzlich hatte ich Sehstörungen und Bewegungsschmerz. Bämm. Das hätte in jedem Fall eine Sehnerventzündung sein können. So schnell wäre die Corona-bedingte latente Existenzangst real geworden. Mit Schub hätte ich meine situativ bedingt bereits raren Aufträge nicht bearbeiten können. Schlimmer noch: Ich hätte mich ins Krankenhaus, aktuell einem Hort des Virus, begeben müssen. Dort wäre mit Cortison mein Immunsystem drastisch runtergefahren worden. Mehr als gefährlich in Zeiten von Covid-19. So relativiert man, wenn sich die Sehstörung als Migräneschub entpuppt, der dankbar begrüßt wird. Wenn die Gefahr gebannt ist, sich real der Ansteckungsgefahr auszusetzen und seiner wirtschaftlichen Existenz traurig nachzuwinken.

Vir-Gefühl-Facts: Risikocheck für MS-Patienten

In Zeiten der Coronakrise und einhergehender Nachrichtenflut inklusive Fake News ist es ganz wichtig, sich ausschließlich an seriösen Quellen zu orientieren. Hier kommt dein Überblick:

Corona und Multiple Sklerose – Quellen-Overview

  • Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Stand: 29.03.2020) nennt als Personengruppen, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf mitbringen, ältere Personen, Raucher und Personen mit folgenden Vorerkrankungen:
  • koronare Herzerkrankung und Bluthochdruck
  • Asthma, chronische Bronchitis
  • chronische Lebererkrankungen
  • Diabetes Mellitus
  • Krebs
  • geschwächtes Immunsystem. [Achtung: Hier können Menschen mit MS dann betroffen sein, wenn ihr Basismedikament die Immunabwehr schwächt oder sie Cortison bekommen].
  • Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (Stand: 27.03.2020): Mit dem aktuellen Stand bestätigt die DMSG, dass sich weniger MS-Patienten mit dem neuartigen Coronavirus angesteckt haben, als erwartet wurde. So werde die Annahme gestützt, dass mit MS KEIN primär erhöhtes Risiko, am Virus zu erkranken, besteht.

Der Vorstand des Ärztlichen Beirats der DMSG nimmt ebenfalls Stellung dazu. Demnach sei grundsätzlich das Coronavirus gefährlicher als die Grippe und die Sterblichkeit höher. Ein Grund ist, dass gegen die Grippe geimpft werden kann, ein anderer, dass SARS-CoV-2 viel öfter als die Grippe direkt die Lunge angreife.

Unter den MS-Patienten seien solche stärker gefährdet, sich am Coronavirus anzustecken, die folgende Basismedikation erhalten:

  • Tecfidera: Wenn die Lymphocytenzahl nicht im Normalbereich liegt.
  • Gilenya und Mayzent: Das Risiko für Atemwegserkrankungen ist erhöht. Dennoch wird empfohlen die Therapie auch jetzt fortzuführen, um die MS nicht zu aktivieren. Neueinstellungen sollten aktuell sehr sorgsam abgewogen werden.
  • Ocrevus, Mabthera, Mavenclad, Lemtrada und Mitoxantron: Vor allem unmittelbar nach der Infusionsbehandlung ist das Risiko erhöht. Möglicherweise sollten die Fristen zwischen den Therapieeinheiten jetzt verlängert werden. Dies seien aber immer Einzelfall-Entscheidungen.
  • Gefährdet seien MS-Patienten dann, wenn sie im Rollstuhl sitzen oder bettlägerig sind. Der Grund sei dann aber nicht direkt die MS, sondern die reduzierte Belüftung der Lunge. Das Infektionsrisiko sei nicht höher, aber das eines schweren Verlaufes.
  • Warnung vor Ibuprofen durch WHO wurde zurückgenommen. Wer im Rahmen seiner MS-Basisbehandlung gegen die Nebenwirkungen Ibuprofen einnehmen soll, darf dies weiterhin tun. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat diese Warnung aufgrund schwacher Datenlage zurückgenommen. Hintergrund: Es stand die Befürchtung im Raum, die Einnahme von Ibuprofen begünstige schwere Verläufe des Coronavirus.

Nach dem Datencheck: Ich fühle mich viel sicherer

Nachdem ich seriöse Quellen nach Informationen zu MS und Corona durchsucht habe, fühle ich mich nicht mehr unsicherer als alle anderen. Mein Medikament stellt nicht per se ein Risiko dar und mobil bin ich auch. Die aktuelle Situation mit Vir-Gefühl zeigt besonders, wie wichtig es ist, einfach NUR seriösen Quellen zu vertrauen – zusätzlich zum subjektiven Krankheitsempfinden.

KOMMT GUT DURCH DIESE VERRÜCKTE ZEIT – UND BLEIBT ANDERS GESUND!

Wie geht es euch aktuell? Schreibt mir sehr gerne!

#staythefuckhome #flattenthecurve

2 thoughts on “Das ganz neue Vir-Gefühl

  1. Ich habe ebenfalls Multiple Sklerose. Trotz, dass ich nur meinen Chef und einen Kollegen im Büro habe, war ich sehr froh über die Entscheidung im Home-Office arbeiten zu dürfen. Nachdem ich das die ersten Tage etwas behelfsmäßig organisiert hatte, wurde dann ein vernünftiger Arbeitsplatz eingerichtet. Schnell begann ich zu schätzen, dass mir der täglicher Arbeitsweg von anderthalb Stunden hin und anderthalb Stunden zurück – Der tägliche Verkehrsstau ist hier einberechnet – nun erspart bleiben. Meinen Wecker kann ich 1 Stunde später einstellen, ich habe bequem Zeit mit dem Hund spazieren zu gehen und sitze dennoch pünktlich um 9:00 Uhr an meinem PC. Die Kaffeemaschine steht jetzt quasi direkt neben mir, und den Vormittag kann ich ab relativ gut arbeiten. Dann ist wieder der Hund dran. Das ist aber auch üblicherweise so da ich mittags mit ihm raus gehe. Das Wetter ist zur Zeit besonders schön der Spaziergang dauert in diesem Fall länger, nach meiner Rückkehr setze ich mich auch nicht sofort wieder an die Arbeit, die Waschmaschine muss noch angeschmissen werden, ein Paketbote kommt und bringt noch weitere Pakete für Nachbarn mit. Ich beschließe mal mittags zu kochen. Letztlich verbringe ich den ganzen Nachmittag mit Dingen die man schon mal erledigen musste oder wollte. Am späten Nachmittag bin ich mit einem Nachbarn verabredet, damit unsere Hunde in dessen Garten spielen können. Wir halten entsprechend Abstand zu einander. Meine restlichen Arbeitsstunden verbringe ich jetzt über den Abend verteilt. Soweit ist die Krise positiv für mich, ich habe mehr Zeit für mich und meinen Hund, und nutze den Tageszeitraum um alle diese Dinge zum Guten aus zu nutzen.
    Stress bekomme ich beim einkaufen, während ich geduldig warte bis mein Vordermann im Tütensuppen Regal fündig geworden ist, guckt mir eine Verkäuferin auf die Pelle um das Regal neben mir einzuräumen, auch eine Mutter mit einem kleinen Baby auf dem Arm huscht noch vorbei. Ich versuche mich wie eine Schlange zu finden, an all den Menschen vorbei zu denen ich keinen Kontakt haben möchte. Aber immer wieder fühle ich mich bedrängt, ich spüre Aggressionen in mir auftreten. Ich setze meinen bösesten Blick auf, kaufe nur das aller nötigste und stell mich ordnungsgemäß im Abstand an der Kasse an. Das nächste Mal bestelle ich online. Beim nächsten Mal stelle ich fest dass online Einkauf sinnlos ist, da es mindestens acht Tage dauert, bis geliefert wird. So lange ohne etwas frisches, das halte ich auch nicht aus. Ich werde erst mal ausprobieren und zu einem anderen Zeitpunkt einkaufen gehen . Auch das Wohnen in einer Wohnsiedlung stellt sich als anstrengender als jemals zuvor raus. Die Bauarbeiter beginnen neben an ab 7:30 Uhr mit dem ausbohren der Fugen, das gesamte Projekt soll noch bis August dauern. Der Lärm bringt wirklich jeden um den Verstand, dazu kommt dass der Balkon aussieht wie die Sahara, schön dieser rote Staub der sich in jede einzelne Ecke legt. Sogar im Innenraum hat man was davon. Wir haben im Innenhof unglaublich viel Rasenfläche, es bietet sich an einer Runde Ball mit dem Hund zu spielen… Bis die ersten Nachbarn aus dem Haus schießen, und freundlich kund tun dass dies nicht so erwünscht sei… Überhaupt beschweren sich Nachbarn über alle möglichen dinge. Auch das spielen von Kindern auf der Grünfläche ist nicht erwünscht. Dass die Nachbarn erst den Rasenmähen nachdem die Bauarbeiter gerade ruhig sind, ist vielen ebenfalls unverständlich. In der etwas weiteren Nachbarschaft wird jeden Abend geklatscht, ein tolles Zeichen für diejenigen die innerhalb der Krise helfen, aber warum nicht an Danke an Ort und Stelle lassen. Wo die Leute es direkt erhalten.
    Die Firma für die ich arbeite wird vermutlich nicht durch die Krise kommen, aber ehrlich gesagt es liegt gar nicht an der Corona Krise, sondern der Wurm war vorher schon dran. Also muss ich auch noch Bewerbung schreiben, wenn es denn mal Anzeigen gäbe. Zwei habe ich denn noch gefunden, ein Vorstellungsgespräch wird vermutlich nicht in nächster Zeit stattfinden. Ich wundere mich über mich selber das ich keine Angst habe, keine Angst mich anzustecken, weil ich sehr umsichtig vorgehe, mir so auf die Hände wasche das ich mich ein Creme muss, keine Angst vor dem Job Verlust, weil Veränderung auch was schönes sein kann, keine Angst weil mein Partner hinter mir steht, keine Angst weil ich mich im Moment sehr viel mit mir selbst auseinandersetze und dadurch noch mehr an Kraft gewinne. Ich wünsche den vielen Menschen da draußen, dass es auch Ihnen gelingt ein bisschen positiver in die Welt zu schauen, und das auch nach der COVID-19 Zeit positive Veränderungen entstehen.

  2. Liebe Anja,

    vielen Dank für deine persönliche Schilderung deines Vir-Gefühls! 🙂 Ich wünsche dir weiterhin alles Gute und dass du es gut durch diese Ausnahmesituation schaffst!

    Liebe Grüße
    Gina

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